Stress – was passiert im Körper?

Sehr oft erlebe ich in meiner Praxis, dass von Stress gesprochen wird, ohne dass wirklich gewusst wird, worum es geht. Daher die Idee zu diesem Text.

Vorneweg ist zu sagen, dass all unsere Vorfahren bis hinab zu den Einzellern sehr erfolgreich waren: sie schafften es, zu überleben, bis sie sich fortgepflanzt hatten. Eine wichtige Rolle spielte dabei der schon früh in der Evolutionsgeschichte entstandene und weiter vererbte Schutzmechanismus, den wir mit dem Begriff „Stress“ beschreiben. Diese Notfallreaktion befähigt dazu, akut besondere Kräfte zu mobilisieren, um in der Auseinandersetzung mit Gefahrensituation zu bestehen.

Was passiert im Körper bei der Stressreaktion? – in vereinfachter Weise dargestellt –

Wird eine Wahrnehmung – aus dem Außen oder dem Inneren des Körpers – vom Zentralnervensystem als Gefahr für das System (gr. = das Gebilde, Verbundene) interpretiert, wird der Organismus in erhöhte Alarm- und Handlungsbereitschaft versetzt; was sich vor allem auf Muskulatur, Atmung und Kreislauf auswirkt, aber auch die Informationsverarbeitung im Gehirn selbst verändert sich.

Erleben wir uns bedroht, werden Hormone (u.a. Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) als Botenstoffe in das Blut ausgeschüttet und der auf Aktivität gerichtet Teil unseres vegetativen (lat. = nicht dem Willen unterliegenden) Nervensystems (Sympathikus) wird aktiviert, während sein Gegenspieler, der auf Ruhe, Regeneration und Reproduktion gerichtete Parasympathikus, derweil gehemmt wird. Auf dies Aktivierung hin beginnt der Organismus, verstärkt Energie zu produzieren, um kurzfristig (!)  leistungsfähiger zu sein; gleichzeitig werden der Blutfluss umverteilt und alle Funktionen, die im Augenblick nicht lebensnotwendig sind, gehemmt.

Über lange Zeit waren Fressfeinde die Hauptbedrohung von Lebewesen. Daher reagieren wir noch heute reflexhaft so wie vor Urzeiten, um unser Leben zu retten. Das hieß: Fliehen, Kämpfen oder: sich Tot stellen. (Der Totstellreflex soll beim Angreifer die ebenfalls reflexhafte Beißhemmung auslösen.) Höhere Hirnfunktionen werden dazu nicht gebraucht und stehen dann auch nicht zur Verfügung. Es entsteht ein „Tunnelblick“ auf den Baum, den es zu erreichen, oder den Knüppel, den es zu fassen gilt. Es ist unwichtig, zu wissen, wie viele Streifen der Säbelzahntiger etc. hat, der einen verfolgt. Ganz allgemein gilt für jegliche Herausforderung: Je bedrohlicher / stressender die Situation erlebt wird, umso weniger ist mit intelligenten, kreativen oder ethischen Lösungen zu rechnen. Denn so wie sich das Gehirn während der Evolution sozusagen vom Rückenmark über Stammhirn und Mittelhirn zum Großhirn hin entwickelte, so fallen bei Stress in umgekehrter Reihenfolge die höheren, differenzierten Funktionen immer mehr, zu Gunsten der reflexhaften und schnelleren, unbewussten Reaktionsweisen aus. Erst wenn man die Anforderung überlebt hat und sich beruhigen konnte, kommen die zeitweilig nicht verfügbaren Fähigkeiten wieder.

Die unwillkürlich im Körper ablaufenden Prozesse führen (zum Teil) zu spürbaren Veränderungen in der Körperwahrnehmung – die dann oft selbst wieder (weil sie auf eine Notfallsituationen hinweisen) beunruhigen. In der Folge reichen dann Ängste, es könne wieder geschehen, um den Reaktionszyklus auszulösen. Später reicht dann die Angst vor der Angst. Aus (fast) „Nichts“ ist nun „Etwas“ geworden.

Die Alarmreaktion selbst ist (kurzzeitig) völlig unschädlich, ja erwünscht, um besonders leistungsfähig zu sein und besondere Anforderungen zu meistern:

  • Kurzfristig werden Energieträger im Blut erhöht: schnell verfügbar, Zucker (Glukose) und energiereich, Fett (insbes. Triglyceride und Cholesterin). Das sind die Rohstoffe, aus denen in den Zellen Energie erzeugt wird.

Das erklärt das Bedürfnis nach Süßem oder Fettigem (z.B. Schokolade, Chips).

  • Die Bauchspeicheldrüse schüttet verstärkt das Hormon Insulin aus, um Glukose in die Zellen zu transportieren.

Das kann, wenn lange anhaltend, zur Erschöpfung der Drüsenzellen und Diabetes führen.

  • Die Atmung wird verstärkt, um mehr Sauerstoff in das innere „Stoffwechselfeuer“ zu blasen; so werden die Brennstoffe zu verfügbarer Energie umgewandelt.

Wir erleben das als vermehrtes Luft holen, als „Lufthunger“, als Gefühl von „Atemnot“. Die vertiefte Atmung kann zu Symptomen der Hyperventilation (gr.-lat. = übermäßige Steigerung der Atmung) führen; mit Schwindel- und/oder Kribbelgefühlen in Körperteilen, evtl. sogar Verkrampfungen in ängstlich angespannten Muskelgruppengen.

  • Beschleunigung von Puls und Erhöhung des Blutdrucks

So wird die Durchblutung verbessert und durch Blutflusslenkung die Energie dorthin

gebracht, wo sie nun dringend gebraucht wird: in der Muskulatur.

Gespürt werden Herzrasen, Pulsschlag im Hals, Druckgefühl im Kopf, Unruhe

  • Vermehrte Muskeldurchblutung

Mehr Kraft, Ausdauer und verbesserte Beweglichkeit erhöhen die Chancen bei Flucht oder Angriff. Bewusst erlebt werden Gespanntheit und unbändige Kraft, aber auch Zittern, das Gefühl „weicher Knie“, ein „Klos“ im Hals oder andere Verspannungen und in deren Folge z.B. kalte Finger / Füße.

Durch die vermehrte Muskelarbeit (Energieverbrauch) kommt es zur Körpererwärmung;
gefühlt als Hitzewallungen, Erröten der Haut.

  • Vermehrte Hautdurchblutung und vermehrtes Schwitzen

Um den Organismus zu kühlen und die Körpertemperatur konstant zu halten, wird die in den Muskeln produzierte Wärme an die Oberfläche geleitet und die beim Schwitzen entstehende Verdunstungskälte genutzt. Wahrgenommen werden kaltschweißige Haut, „frieren“, Gänsehaut.

  • Verminderte Blutzufuhr zu den inneren Organen

Ziel: Drosselung aller im Alarmzustand „unnötigen“ Stoffwechselvorgänge. Manche spüren das als Übelkeit oder als merkwürdige Gefühle in der Magengegend, z.T. führt die Aufregung aber auch zu Durchfall und vermehrtem Harndrang.

  • Verminderte Blutzufuhr zum Großhirn

Die relativ langsame Reizverarbeitung im Großhirn wird zurückgedrängt; eine genaue Bestimmung der Gefahr ist akut (meist) nicht nötig; schematische Entscheidungs-muster niederer Hirnregionen werden aufgerufen. Die (Sicherungs-) Reaktionen erfolgen damit rascher, problemorientierter – wenn auch mit größeren Fehlerquoten.

Erlebbar sind Schreck, Lampenfieber, Angst, manchmal Panikgefühle; Folgen können auch Schwindelgefühle, Konzentrationsstörungen, „blackout“ in Prüfungen sein.

In Extremfällen kann es zu Bewusstseinsverlust, Dissoziation  (teilweiser oder völliger Verlust der normalen Integration von Erinnerungen, Empfindungen, Körperkontrolle sowie des Identitätsbewusst-seins), Stupor (lat. = völlige geistige und körperliche Regungslosigkeit), sogar Schocktod kommen.

  • Verminderte Schmerzwahrnehmung

Kurzfristig ist das ein Schutz, da der Moment, in dem die Aufmerksamkeit beim Schmerz währe, eine entscheidende Lücke in der Abwehr einer Gefahr sein könnte. Langfristig wäre es gefährlich, ein wichtiges Meldesystem von Gefahren und innerem Ungleichgewicht außer Kraft zu setzen.

Begrifflich ist zu unterscheiden zwischen:

  • · Stressor = Stressauslöser = der einen Stress erzeugende Reiz / Stimulus

Das kann alles und jedes sein, wenn der Organismus es für bedeutsam und bedrohlich hält:

z.B. schädigende Umwelteinflüsse: Lärm, schrille Schreie (Alarmsignal), Kälte, Hitze, Strahlen, toxische Substanzen wie Zigarettenrauch und andere Gifte, Chemikalien; alle Hemmnisse auf dem Weg zur Bedürfnisbefriedigung; bestimmte Einstellungen, Befürchtungen, Erwartungshaltungen, Motivationen (lat. = Summe der Beweggründe), die zu inneren oder äußeren Konflikten führen; seelische und/oder körperliche Belastungen; Unter- wie Überforderungen, zu wenig wie zu viel Verantwortung; Angst nicht zu genügen; Schichtarbeit; Leistungsdruck, fehlende Gestaltungsmöglichkeiten, Reizüberflutung, Arbeitslosigkeit, Mobbing, soziale Isolation; Schlaflosigkeit; Sorgen, Armut, Zeit- oder Nahrungsmangel oder Überfluss, Langeweile; Krankheiten und Schmerzen; Tod eines nahen Angehörigen, Umzug, Heimatverlust, Missbrauch oder andere lebensgeschichtlich belastende Erfahrungen; sogar irrationale Gefahren, wie Spinnen, Mäuse, eigenes Erröten, Plätze, Menschenmengen usw. usw. können Auslösereiz sein.

Es genügt sogar allein die Vorstellung und Erwartung davon zu haben.

  • Stressreaktion = die Antwort des Organismus auf den Stressor.

 

Die Stressreaktion ermöglicht dem Körper energisch und reaktionsschnell auf eine (Gefahren-)Situation zu reagieren; es ist ein körperlich-seelische Zustand mit (kurzfristig) gesteigerter Vigilanz (lat. = Wachsamkeit) und erhöhter Leistungsfähigkeit – zur Problemlösung.

Auf jede Wahrnehmung eines (inneren wie äußeren) Reizes folgt eine Orientierungsreaktion, dann Bewertung / BeDeutungsgebung und Antwortsuche.

Reiz und die Reaktion darauf führen dann zur (funktionalen oder unvorteilhaften bis schädlichen) Anpassung des Organismen an seine Umwelt bzw. zum (Um-)Gestalten der Umwelt.

Der Psychosomatiker Thure von Uexküll beschreibt das (1998 in seinem Buch „Theorie der Humanmedizin“) als „Funktionskreis“. Solche Feedback-Schleifen (Rückkoppelungsmechanismen) finden wir in allen Systemen – von der Zelle über den Körper bis zum Ökosystem. Sie helfen Homöostase (= Streben nach innerem Gleichgewicht in einem offenen System) aufrecht zu erhalten. Dies geschieht selbstreguliert, d.h. als sich selbst organisierender Prozess; der allerdings durch die Struktur des Systems, seine Form, körperlichen Voraussetzungen und Bedingungen, festgelegt ist. Weitere Merkmale sind: die allen gemeinsame Endlichkeit und eine durchlässige, Austausch mit der Umwelt zulassende, Grenze, die die Zugehörigkeit, ein Innen und Außen, definiert.

Ob ein System gut funktioniert, ist also eine Frage der Balance, des Ausgleichs.

Im Leben gilt es folglich, immer das für sich und die Situation richtige Maß zu finden: z.B. zwischen Neugier und Angst; Sicherheit und Risiko; Herausforderung und Belastung usw.

Gelingt dies nicht, ist das System gar in seinem Erhalt gefährdet, erleben wir Stress bzw. die Auswirkungen der dann automatisch ausgelösten Sicherungsreaktionen.

Wahrscheinlich begleitet Stress – vielleicht besser gesagt, die Aktivierung der Möglichkeit zu einer Anpassungsleistung – vermutlich jede Handlung unseres Lebens; insbesondere solche, die uns mit Neuem konfrontieren, uns aus unserer Mitte bringen, Emotionen wecken, echte Herausforderungen sind.  …  Ein gewisses Maß an Stimulation ist sogar lebensnotwendig. Man nennt das Eu-Stress (gr. eu = wohl, gut, schön – Stress).

Erfahren wir zu jedoch zu wenig Anregung oder zu viel Stimulation ist das beides bedrohlich; im ersten Fall spricht man von Deprivation (lat. = Mangel, Verlust, Entzug von etwas Erwünschtem), im zweiten Fall von Dis-Stress (gr. dis = doppel – Stress).

  • Stressfolge kann sowohl eine bessere Anpassung an bestehende Bedingungen bzw. die Schaffung passenderer Bedingungen (das wäre eine gelungene Entwicklung), wie auch eine erhöhte Belastung, evtl. Überlastung mit Schaden für das System sein.

Den Begriff „Stress“ machte 1936 der Zoologe Hans Selye bekannt. Er entlehnte die Vorstellung „Zug oder Druck auf ein Material, der zur Materialermüdung führt“ aus der Physik, um eine „unspezifische Reaktion des Körpers auf jegliche Anforderung“ zu beschreiben.

1914 und 1932 hatte Walter Cannon bereits eine „Notfallreaktion“ des Körpers beschrieben, die regelhaft und blitzartig, auf jegliche Art von Bedrohung, zur Herstellung einer Flucht- oder Angriffsbereitschaft führt.

1966 fügte der Psychologe Richard Lazarus zusätzliche persönliche Bewertungsebenen in das Stressmodell ein, nachdem er nachweisen konnte, dass Stress durch Einstellungen und Erfahrungen beeinflussbar ist.

Selye unterscheidet drei Phasen bei Stress:

  • In der ersten Phase, der Alarmreaktion, lassen sich die oben beschriebenen charakteristischen (gr.-lat. = sich wiederholend, typisch, vorhersehbar), vorübergehenden, funktionellen (lat. = Veränderung, bei der nur die Funktion eines Organs gestört ist, dieses aber nicht selbst krankhaft verändert ist) Veränderungen beobachten.

All diese Symptome (einzeln oder miteinander auftretend) gelten dennoch als unspezifische Zeichen, weil sie z.B. auch im Anfangsstadium vieler Infektionskrankheiten oder bei Fieber gefunden werden, ohne etwas über die spezifische Natur einer Krankheit auszusagen.

Will man Stress als auslösende Belastung in die Interpretation einer Symptomatik oder Krankheit mit einbeziehen, kommt man nicht umhin, die Bedeutung des Reizes in der jeweiligen Lebenssituation zu ergründen. Denn, wenn es sich nicht um ein toxisches (gr.-lat. = giftig) Agnes handelt, bekommt der Stressor seine Wertigkeit als Schlüsselreiz aus den bisherigen lebensgeschichtlichen Erfahrungen des Betroffenen. Selye: „Man muss einen Menschen sehr gut kennen, um zu wissen, was für ihn Stress auslösen kann und was nicht!“

Nur das Herausfinden des schädigenden (Umwelt-)Einflusses, der zugehörigen Reaktions-bereitschaft des betroffenen Menschen, inklusive der Entschlüsselung eines eventuell zugehörigen inneren Konfliktes, kann zur Lösung führen.

Alle Symptome fordern, als freundliche Rückmeldung des Körpers, dazu auf, (weiter) nach der der auslösenden Bedingung und damit nach einer (wahren) Lösung zu suchen.

Denn am Anfang einer jeden Reiz-Reaktions-Kette steht ein äußerer Anstoß oder das inneres Wahrnehmen eines Bedürfnisses, Mangels, Motives, Zieles, das zu einer Bewegung drängt, die auf seine Befriedigung zielt. Das Symptom weist auf eine Hemmung, einen Soll-Ist- oder einen Loyalitätskonflikt hin; es entsteht ein Anpassungsdruck, der nur zur Ruhe kommt, wenn eine echte Lösung gefunden wird.

Scheinlösungen erscheinen (vordergründig und kurzfristig betrachtet) zwar brauchbar, sind es aber nicht wirklich: sie wirken nur in unserer Vorstellung (Phantasie, innere Wirklichkeit); die äußere Realität wird aber nicht (zumindest nicht langfristig und tiefgründig) verändert.

Da der innere Druck dann weiter in Richtung Ausgleich drängt, verstärkt sich die Symptomatik oder es kommen neue Symptome = Symptomverschiebung.

  • Wird die erste Phase  erfolgreich überstanden, folgt die zweite Phase, die Adaptation (lat. = Anpassung) oder Resistenz (lat. = Gegenwehr, erhöhte Widerstandsfähigkeit).

Der Organismus lernt die (innere oder äußere) Umgebung an die (veränderte) Situation anzupassen. Die anfänglichen Symptome der Alarmreaktion verschwinden vollständig.

  • Bleibt die Einwirkung der Stressoren (wie wir das heute sehr häufig beobachten) bestehen, ohne dass das System einen neuen Gleichgewichtszustand finden, sich oder die Umwelt anpassen kann, kommt es schließlich zu einer dritten Phase, der Erschöpfung des Systems, in der Adaptationskrankheiten entstehen.

Adaptationskrankheiten sind nicht mehr nur zeitweilige Funktionsstörungen, wie in Phase 1, von denen sich der Körper noch vollständig erholen kann, sondern echte organische Schädigungen, die vom Körper selbst eingeleitet oder verschlimmert sind.

Als Adaptationskrankheiten (durch Fehlanpassungen hervorgerufen) gelten z.B. Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenschäden, Rheumatismus (gr.-lat. = fließende Scherzen), Asthma, allergische Reaktionen, vegetative Funktionsstörungen, Morbus Crohn, Colitis, Ängste, nervöse Erschöpfung bis hin zur depressiven Verstimmung.

Die ursprüngliche Schutzreaktion kann also – alles eine Frage der Dosis – bei besonderer Intensität eines Ereignisses oder bei übermäßig lang anhaltender Dauer der stressenden Reize, selbst zum schädigenden Agens (lat. = das Antreibende, Wirkende) werden, durch die Organe des Körpers geschädigt werden. (z.B. bei chronisch erhöhten Blutdruck sind Blutgefäße verengt und über den erhöhten Cholesterinspiegel im Blut kommt es zur Schädigung der Blutgefäße, irgendwann zur Unterversorgung der Gewebe mit Sauerstoff. – Auch weiß man: Stress im frühen Leben führt zu chronischer Erhöhung von Cortisol im Blut, wodurch die Reizschwelle zur Stressreaktion dauerhaft erniedrigt ist. Da geht einem schneller „der Hut hoch“.) Denn folgt auf eine Stimulation keine ausreichende emotionale oder körperliche Abreaktion / Bewegung, die die erhöht mobilisierten Energie verbraucht (z.B. weil man gerade am Schreibtisch sitzt), wächst das Anspannungs- und Verspannungsniveau im Körper an.

Heutzutage umgeben uns viele unspezifische (z.B. Straßen-, Fluglärm, Telefonklingeln oder Angst vor Arbeitsplatzverlust, hohe Arbeitsverdichtung, so dass immer, real oder gefühlt, etwas unerledigt bleibt; der Anspruch, perfekt zu sein oder alle Aufgaben sofort zu erledigen, überfordert, ebenso wie Schlafmangel oder zu viel Zeit vor den Medien) Stressoren, die den Körper unbewusst immer wieder aktivieren, aber nur latente (= vorhandene, aber noch nicht offenkundige) Gefahren-meldungen auslösen, ihn aber in ständige Handlungsbereitschaft (Dauerstress) versetzen, ohne zu einer Bewegung oder gar Katharsis (gr. = Reinigung) zu führen. Parallel dazu bewegen wir uns (über die letzten Jahrzehnte gesehen) immer weniger, brauchen im Alltag weniger Kraft.

Wenn also Reize in so kurzen Abständen oder langanhaltend erfolgen, dass dem Körper keine Erholungspausen bleiben und/oder sich das Erregungsniveau aufschaukelt, weil keine Bewältigung stattfindet / stattfinden kann, bewirkt die aufgebaute Muskelanspannung „Zurückhaltung“, ein „sich Zusammenziehen“, „sich klein machen“.

Das kann in realer Gefahr schützen; führt aber, wenn chronisch, zu Minderdurchblutung der Gewebe, zu Schmerz, Angst (lat. angustus = Enge, Beklemmung) und erniedrigten Reizschwellen für aggressive Ausbrüche, die, gegen sich selbst gerichtet, z.B. Zähneknirschen, Kopfschmerz bei verspannter Schulter-Nacken-Muskulatur, Bandscheibenvorfall oder Arthrose bewirken.

Über die innere Anspannung wird Halte-Arbeit geleistet und Energie verbraucht; aber nicht ausreichend, um für eine ausgewogene Energiebilanz zu sorgen. Folglich sucht der Körper immer neue Auswege, die Spannung los zu werden. Der Anspannung folgt mehr und mehr eine Unruhe, die, für Außenstehende sichtbar, z.B. zu nervösem Beinwippen, Augenzucken, Nägelkauen oder auch zu Durchfällen oder Harndrang führen kann.

Dennoch schaukelt sich das System so immer weiter in´s pathologische (= krankhafte, gr. páthos = Leiden(schaft), Sucht; logos = Wort, Vernunft, Sinn, Lehre) und erschöpft sich zunehmend. Nach  einer Weile nehmen wir zunehmenden Sarkasmus wahr, Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Interessens-/ Antriebs- / Libidoverlust, ängstliches Vermeiden wahr, sind am Ende depressiv Verstimmt.

Wird dieser Zustand chronisch, wird er nach einer Weile als neuer Normalzustand gelernt. Der Körper adaptiert (lat. = Anpassung) sich, Gewöhnung tritt ein.

Das hat zwar den Vorteil, dass die Störung nicht mehr bewusst ist (z.B. der Schmerz aufhört) und die Angst verdrängt werden kann; aber den Nachteil, dass das falsche, krankmachende Muster in den betroffenen Muskeln, wie als Verhalten, immer wieder hergestellt wird. Früher nannte man das eine „Blockade“. (Die Wiedergewinnung des normalen, gesunden Zustandes ist, aus sich heraus, selbstreguliert, blockiert.) Nun bedarf es fremder Hilfe, sich neu zu justieren.

Nun gilt es, die sich zeigende Symptome als freundliche Rückmeldungen, die von der Schwierigkeit im Ablauf und von Gefahren künden, zu verstehen und zu übersetzen.

Insbesondere in Stresssituationen ist wichtig, rechtzeitig Raum und Zeit zwischen sich und den Stressor zu bringen, sich zu distanzieren, um „runterfahren zu können“, zu entspannen; denn nur dann bleiben vernunftvolle Lösungen möglich. – Nicht leicht, aber möglich! –

Ein Symptom in Ihrem Auto z.B. ist der nervige Ton, der Sie darauf aufmerksam macht, den Sicherheitsgut anzulegen. Niemand würde auf die Idee kommen, das Auto deswegen zum Psychologen oder in die Werkstatt zu bringen, weil er eine neurotische Fehlfunktion vermutet.

Auch die Symptome unseres Körpers (z.B. Schmerzen) nerven gewöhnlich und wir wollen sie so schnell wie möglich weg haben. Nehmen wir dann z.B. Schmerzmittel, um die Wahrnehmung der warnenden Rückmeldungen zu betäuben, ist das in etwa so sinnvoll, wie im Auto einen Kaugummi auf das nervig blinkende Öllämpchen kleben, das einen niedrigen Ölstand anzeigt. Einige Kilometer später werden Sie einen kapitalen Motorschaden erleben.

Es macht also Sinn, sich dem Symptom zuzuwenden, um herauszufinden, worum es geht. Denn erst wenn getan ist, worum es ging, wird es ruhig.

Therapie hilft u.a. eigene Ziele (incl. unbewusster Strebungen) zu klären, Symptome zu übersetzen, Abwehrmechanismen (seelische Vorgänge, die dazu dienen, miteinander in Konflikt stehende psychische Tendenzen (Triebe, Wünsche, Motive, Werte) mental so zu bewältigen bzw. zu kompensieren, dass die resultierende seelische Verfassung konfliktfreier ist.) aufzudecken und eingebildete von echten Gefahren zu unterscheiden (Realitätskontrolle). Therapie heißt in vielen Fällen: den Mut aufzubringen, sich seinen Ängsten zu stellen, still zu halten oder etwas auszuprobieren, Neues zu wagen; mutiges zu Tun, obwohl einem nicht mutig zumute ist; nach dem Motto: „Wenn ich etwas haben will, was ich noch nie hatte, muss ich etwas tun, was ich noch nie tat!“

In einer Therapie heißt es, sich seinem Begleiter anzuvertrauen, sich auf sein Urteil, seine Fachkenntnis und Erfahrung zu verlassen – und wieder ist Differenzierungsfähigkeit gefragt:

Wem traue ich?          Warum?          Warum nicht?             Wohin führt das?

Was traue ich den anderen zu?          Was traue ich mir zu?             Will ich das?

Bin ich bereit, den Horizont des mir vertrauten zu verlassen?…und den Preis dafür zu zahlen?

Das Leben ist nicht ohne Risiko. Selbst die vertrauten Wege sind nicht ohne Gefahr.

Was kann (bei abgewogenem Risiko) auf neuem Wege wirklich Schlimmes/Schönes passieren?

Was ist meine größte Angst = Sehnsucht?

Woher kommt die?                Wohin führt die?                    Will ich das?

Was würde ich tun, wenn ich (jetzt) keine Angst hätte? …eine Fee mir einen Wunsch erfüllte?

Was kommt, wenn ich die Grenze überschritten habe? …Wie wird es sein? besser/schlechter?

Was ist (nur) in meiner Vorstellung (unendliche Möglichkeiten), was ist real (eins zu einer Zeit)?

Verstehen lindert das Gefühl der Unsicherheit; sich seinem Gefühl stellen, er aushalten, kreiert neue neuronale Muster. Da es jedoch mein Gefühl ist, erzeuge ich es.

Ich habe also Einfluss darauf – deutlich mehr Einfluss, als auf die realen Situation da draußen, die ich am liebsten vermeiden würde, weil ich mich ihnen gegenüber ohnmächtig fühle.

Ich kann etwas tun!

Es erfordert bewusste Aufmerksamkeit und viele Wiederholungen;

Irgendwann ist das dann neue Verhaltensmuster automatisiert und auch schnell verfügbar.

Immer freier bin ich in der Wahl, welches Reaktionsmuster heute passt.

Hilfreiche Techniken bei der Stressbewältigung sind u.a.

  • progressive Muskelrelaxation
  • · Autogenes Training
  • Meditation
  • Biofeedback, Neurofeedback
  • MBSR = mindfullness based stress reduction (engl. = auf Achtsamkeit beruhende Stressreduktion)
  • Verinnerlichung von problem- bzw. emotionsorientierten Bewältigungsformen

z.B. Wahrnehmungslenkung, aktive Vermeidung bestimmter Antwortmuster, positive

Selbstinduktion

  • Professionelle psychotherapeutische Problemlöseansätze

Typische Beispiele von Stressreaktionen in verschiedenen Lebensaltern

1.–5. Jahr Daumenlutschen, Bettnässen, Dunkelangst, Angst vor Tieren, Klammern, Nachtangst, Verlust der Darm- und/oder Blasenkontrolle, Verstopfung, Stottern / Stammeln, Appetitlosigkeit oder Heißhunger

5.–11. Jahr Irritiert sein, Jammern, Klammern, Aggressivität, Geschwisterrivalität, Alpträume, Dunkelangst, Schulangst, Interesselosigkeit, sozialer Rückzug von Gleichaltrigen, Konzentrationsstörungen

11.–14. Jahr Schlafstörungen, Essstörungen, Rebellion daheim, Schulprobleme, wie Schlägereien, Tagträumen, Interesselosigkeit, Mittelpunktstreben, mangelndes Interesse an Aktivitäten Gleichaltriger, psychische Probleme wie z.B. Kopfschmerzen, undefinierbare Schmerzen, Hautprobleme, Verdauungsprobleme und andere psychosomatische Beschwerden

14 –18. Jahr psychosomatische Beschwerden, Störungen des Appetits und Schlafes, hypochondrische Reaktionen, Durchfall / Verstopfung, Störungen der Menstruation, Steigerung oder Senkung des Energielevels, Interesselosigkeit am anderen Geschlecht, Abnahme von Durchsetzungskämpfen mit Eltern und Autoritätspersonen, Konzentrationsmangel

Erwachsenenalter

Gefühle: Traurigkeit, Ärger, Schuldgefühle, Vorwürfe, Angst, Verlassenheit, Müdigkeit, Hilflosigkeit, Schock, Jammern, Taubheit, Leere, Hoffnungslosigkeit, Deprivation, Demütigung, Erleichterung

Kognition (lat. = Entwicklung all der Funktionen, die zum Wahrnehmen z.B. eines Gegenstandes oder zum Wissen über ihn beitragen): Ungläubigkeit, Verwirrung, Vorurteile, angestrengte Konzentration, Halluzinationen, Depersonalisation

körperliche Wahrnehmungen: Übelkeit, Enge in der Kehle und Brust, Übersensibilität, Atemnot, Muskelschwäche, Mangel an Energie, trockener Mund

Verhalten: Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Geistesabwesenheit, Seufzen, Aktivismus (= Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens), Weinen, sozialer Rückzug, Träume über das Ereignis, Vermeidung von Nähe zu Tatort oder ähnlichen Situationen, Hüten von „Schätzen“



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